Joachim Wagner, Orgelmacher – eine beeindruckende Monographie
Bernd Janowski, MOZ Juli 2012 und „Alte Kirchen“ Juni 2012
Wolf Bergelt: Joachim Wagner. Orgelmacher (1690-1749), Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2012, ISBN 978-3-7954-2562-3, 711 Seiten
Die 1742/44 entstandene zweimanualige Barockorgel in der Angermünder St. Marienkirche, die nach mehreren erstklassigen Restaurierungsschritten der Firma Alexander Schuke in ihrer originalen Disposition bis heute hochrangige Organisten aus der ganzen Welt anzieht, verdankt ihre Entstehung der Beharrlichkeit und Leidensfähigkeit des damaligen Organisten Stephan Christian Stiller. Bereits 1728 hatte dieser von dem Berliner Orgelbauer Joachim Wagner eine „Specifikation“ für den Neubau einer Orgel erhalten. Der Magistrat der Stadt hatte sein Einverständnis gegeben und eine finanzielle Beteiligung zugesagt. Nur der Angermünder Propst Siegmund Bärensprung behinderte den Orgelbau dergestalt, dass Stiller sich mit einem Brief direkt an den König wandte, der den unverzüglichen Neubau befahl. Doch der Kampf ging weiter. Propst Bärensprung intrigierte, verhinderte Spenden für das Instrument und versuchte, dem Organisten den Dienst „aufzusagen“. Erst Bärensprungs Tod 1739 schuf die Möglichkeit für die Entstehung des großartigen Instrumentes.
Nachzulesen ist der aus dem damaligen Briefwechsel sowie aus den Kirchen- und Stadtakten rekonstruierte Vorfall in einem neu erschienenen Buch. Der Orgelhistoriker und Begründer der systematischen Orgelfeldforschung in Brandenburg, Wolf Bergelt, hat erstmals eine beeindruckende Gesamtdarstellung zu Leben und Werk des neben Gottfried Silbermann bedeutendsten deutschen Orgelbauers des 18. Jahrhunderts vorgelegt. Über 50 bekannte Wagner-Orgeln werden mit ihrer zum Teil erstmals rekonstruierten Originaldisposition, allen bekannten Umbauten, Reparaturen und Veränderungen, der Vorstellung der heutigen Disposition und der Kennzeichnung der erhaltenen Originalsubstanz akribisch vorgestellt. Zahlreiche bisher unbekannte Quellen konnte Bergelt in seiner jahrzehntelangen Forschungstätigkeit auswerten und erstmals vorstellen. Entstanden ist ein Buch, das – sowohl durch Inhalt, Umfang und Gestaltung – wohl für lange Zeit ein Standardwerk bleiben wird, auch wenn noch viele Geheimnisse bleiben, die hoffentlich zukünftige Generationen von Wagner-Forschern entschleiern werden. Die wunderbaren, eigens für den Band erstellten, Bilder des Fotografen Christian Muhrbeck und die sorgfältige Gestaltung durch den renommierten Verlag Schnell + Steiner machen die Wagner-Monographie darüber hinaus zu einem der schönsten Bücher der letzten Jahre. Den innovativen technisch-konstruktiven Bereich der Wagnerschen Orgelbaukunst erläutert in einem eigenen Kapitel der renommierte Wagner-Experte Dietrich Kollmannsperger.
Die Lektüre empfiehlt sich im Übrigen nicht nur für den musikalischen Fachmann. Auch der musik- und kunstgeschichtlich oder historisch interessierte Laie findet in den Zitaten der historischen Quellen und ihrer Interpretation spannende und größtenteils kurzweilig zu lesende Erkenntnisse.
Eine schöne Würdigung des Schaffens von Joachim Wagner bildet die Orgelpredigt des Propstes Porst, gehalten 1721 in der Berliner St. Marienkirche, wo Joachim Wagner als erste eigene Orgel ein dreimanualiges, schon damals weithin bewundertes Werk schuf. In der gedruckten und im Buch zitierten Predigt heißt es u.a.: „Wie vielmehr kann ein gantzes Orgelwerck, wo nicht alle, doch etliche zerstreute und flüchtige Gemüther in der Gemeinde sammlen, ihre unruhige(n) Affecten vertreiben und dämpfen, oder doch mäßigen und mindern und bezähmen, die Melancholie und andere Gemüths=Kranckheiten verjagen, das Hertz in eine gute Verfassung und Ordnung setzen, auch fähig machen, göttliche Dinge mit desto mehrer Andacht zu Hertzen zu nehmen.“ Dieses Zitat sollten Kirchengemeinden jedem Antrag auf finanzielle Unterstützung einer Orgelrestaurierung beilegen!
Soweit die dürftige Quellenlage es zulässt, hat Wolf Bergelt auch das private, zum Teil tragische Leben des großen Orgelbauers nachgezeichnet. So genial Joachim Wagner als Orgelbauer war, so wenig Talent hatte er anscheinend, sein Handwerk und seine Kunst zu verkaufen. Als Wagner 1749 in Salzwedel, wo sein letztes Werk gerade im Entstehen war, im Alter von nur neunundfünfzig Jahren starb, erhielt er lediglich ein Armenbegräbnis. Sein Handwerkszeug wurde anschließend meistbietend versteigert, um die dabei entstandenen Kosten zu decken.
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